Eva Zahn & Volker A. Zahn
Drehbuchautoren



Aktuelles


Am 2. Dezember, einen Tag nach dem Welt-Aids-Tag, zeigt das Erste um 20, 15 Uhr den von Eva Zahn und Volker A. Zahn geschriebenen Fernsehfilm “Unter der Haut“ (mehr Infos zum Film unten auf dieser Seite). Dem bei der Produktion federführenden NDR gaben die Autoren ein Interview zur Entstehungsgeschichte des Dramas und zu ihrer Arbeit am Buch.

Frage: Wie sind Sie auf den Blutskandal gestoßen?


Volker A. Zahn: Wir sind darauf gestoßen worden. Die Produzentin Kathrin Geyh von Amalia Film kam mit dem Thema auf uns zu und fragte, ob wir uns vorstellen könnten, den Skandal fiktional aufzuarbeiten. Wir haben sofort zugesagt. In dem Stoff steckt ein enormes erzählerisches Potenzial.


Eva Zahn: Er ist darüberhinaus auch sehr aktuell, als eine Art Blaupause für Skandale und Missstände. Ob es um Krankenhauskeime geht, an denen jährlich bis zu 15.000 Menschen sterben, oder um den massenhaften Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung... fast immer laufen derlei Skandale nach einer ähnlichen Dramaturgie ab: Leugnung, Lobby-Arbeit mit schweren Geschützen, Beschwichtigungen und Totschlag-Argumente, spätes Einlenken ...und am Ende werden die überfälligen Maßnahmen erst dann getroffen, wenn das Kind längst in den Brunnen gefallen ist.


Frage: Ist der Blutskandal vollständig dokumentiert? Haben Sie bei Ihren Recherchen etwas Neues herausgefunden?


Volker A. Zahn: 1994 hat ein Untersuchungsausschuss des Bundestages einen fast 700-seitigen Abschlussbericht mit allen Details vorgelegt. Darin wird konstatiert, dass rund sechzig Prozent der durch kontaminierte Blutprodukte ausgelösten HIV-Infektionen hätten verhindert werden können. Versagt haben Anfang der Achtziger praktisch alle: Die Pharmaindustrie, die Maßnahmen zur Hitzeinaktivierung von HI-Viren viel zu lange herausgezögert hat, das Bundesgesundheitsamt, Politiker, Krankenkassen, das Rote Kreuz und nicht zuletzt führende Hämophilie-Ärzte. Die Fakten liegen also auf dem Tisch. Interessanter und teilweise sehr überraschend waren für uns die persönlichen Gespräche mit betroffenen Blutern. Wir hatten mit einer unglaublichen Wut gerechnet, vor allem auf die Pharmaindustrie. Aber weil die Faktor-8-Medikamente für Bluter Fluch und Segen zugleich waren, ist die Haltung mancher Infizierter durchaus ambivalent, da gibt es eine seltsame Mischung aus Zorn und Dankbarkeit. Man darf nicht vergessen: Vor der Einführung von Blutgerinnungs-Präparaten betrug die Lebenserwartung eines Bluters gerade mal 16 Jahre, mit den neuen Medikamenten konnten die Betroffenen plötzlich ein ganz normales Leben führen, sogar Sport treiben, und die Lebenserwartung stieg auf das Niveau gesunder Menschen. Anders als zum Beispiel im Contergan- Skandal hatten die Betroffenen der pharmazeutischen Industrie also sehr viel zu verdanken.


Eva Zahn: Stellen Sie sich einen Verdurstenden in der Wüste vor, dem sie mit einem Schluck Wasser das Leben retten. Doch das Wasser ist mit einem todbringenden Virus vergiftet. In diesem Dilemma steckten die Bluter. Die Geschichte ist unvorstellbar tragisch.


Volker A. Zahn: Es gab Funktionäre von Bluterverbänden, die sagten damals: Wir sind bereit, das Risiko von Aids zu tragen, wenn man uns die Faktor-8-Medikamente nicht wegnimmt. Das war für sie eine Frage der Abwägung. Man wusste zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht, wie gefährlich Aids wirklich ist, und es gab auch noch die Hoffnung, bald irgendein Gegenmittel zu finden.


Frage: Erinnern Sie sich noch an die Tage, als Aids nach Deutschland kam?


Eva Zahn: Ja, zum einen waren die Achtziger unsere Jugendjahre. Zum anderen hat die aufkommende Krankheit im Land wahnsinnig viel verändert. Auf die sexuelle Aufklärung der Sechziger folgte die sexuelle Revolution der Siebziger – und plötzlich gab es Aids! Es war ein Riesenschock. Diffuse Ängste gingen um, Erkrankte wurden stigmatisiert und ausgegrenzt. In den Medien wurde Aids als „Lustseuche“ dargestellt, die auf die sexuellen Praktiken von Homosexuellen zurückzuführen ist. Konservative Politiker hetzten gegen Schwule, Peter Gauweiler forderte „Zwangstests“ für Prostituierte, Drogenabhängige und angehende Beamte, und im „Spiegel“ wurde ein gewisser Horst Seehofer zitiert, der vorschlug, Aidskranke „in speziellen Heimen“ zu „konzentrieren“. Eine Zeit der Hysterie also, und mittendrin aidskranke Bluter, die damit rechnen mussten, für drogensüchtig oder notorisch promisk gehalten zu werden. Damals gab es noch Autoaufkleber mit dem Slogan: „Ich bin Bluter.“ Die verschwanden nach und nach aus dem Straßenbild, weil die Besitzer Angst davor hatten, dass man ihr Auto demoliert.


Volker A. Zahn: Es ging uns aber nicht primär darum, den Zeitgeist oder das Lebensgefühl der Achtziger abzubilden. Wir wollten auf dramatische Weise die – durchaus zeitlosen – Mechanismen illustrieren, die nicht nur die Politik, sondern auch die Menschen dazu bringen, viel zu lange die Augen vor dem zu verschließen, was eigentlich nicht sein darf.


Frage: Gibt es für Ihre Hauptfigur Martin Siedler ein reales Vorbild?


Volker A. Zahn: Martin Siedler ist eine reine Kunstfigur. Aber natürlich sind viele Erfahrungen von Betroffenen, mit denen wir gesprochen haben, in diese Figur eingeflossen. In Martin verdichtet sich die tragische Dimension unserer Geschichte, und an seinem Beispiel illustrieren wir auch, wie man bittere Wahrheiten selbst dann noch verdrängen kann, wenn die Einschläge schon sehr nahe kommen. Martin redet sich viel zu lange die Situation schön, er ignoriert die mahnenden Stimmen, und er lässt sich bereitwillig von seinem Chef einseifen – bis irgendwann nicht mehr zu leugnen ist, dass er sich und anderen etwas vorgemacht hat. Er hat sich als Bluter durch sein eigenes hochgelobtes Medikament mit HIV infiziert. Das bedeutet Anfang der Achtziger sein sicheres Todesurteil.


Eva Zahn: Wir nehmen die Zuschauer mit Martin an die Hand und führen ihn durch eine sehr komplexe Thematik. Martin Siedler ist in jeder Szene präsent. Er zieht uns in die Geschichte hinein, indem er uns spüren lässt, wie extrem er leidet, wie zerrissen er ist und wie hart er kämpfen muss. Wir brauchten diese starke Hauptfigur, um den Skandal so spannend und emotional wie möglich zu erzählen. „Unter der Haut“ sollte ja kein Themenfilm werden, der sich an den Fakten abarbeitet, sondern ein packendes, aufwühlendes Drama.


Frage: Ist er ein Held, der für die Rechte der Bluter kämpft?


Eva Zahn: Anfangs ist Martin Siedler ein junger Mann, der seine Kindheit, die von Krankheit und Tod geprägt war, unbedingt hinter sich lassen will, er will „normal“ sein, er will nicht auf seine Bluter-Krankheit reduziert werden, er will das Leben genießen, und er ist dabei durchaus auch ein Egoist. Aber dann, als persönlich Betroffener, lernt er, Verantwortung zu übernehmen, und da mausert er sich tatsächlich zum Helden, er agiert ohne Hass auf die Täter, ihm geht es nur noch darum, seine Familie und andere Bluter zu schützen – gegen alle Widerstände und auch gegen alle Versuche, ihn persönlich zu demontieren.


Volker A. Zahn: Im klassischen Skandalfilm kämpfen smarte Anwälte oder bildschöne Umweltaktivistinnen heroisch und ohne Eigennutz für das Gute. Die Opfer laufen meistens nur als bemitleidenswerte Belegexemplare mit. Diesen Ansatz finden wir eher langweilig, und wir haben deshalb nach einer Dramaturgie gesucht, die es uns erlaubt, direkt in den Abgrund zu blicken.


Frage: Wie teilen Sie beim Schreiben die Arbeit untereinander auf?


Volker A. Zahn: So wie es sich gerade ergibt. Erst hecken wir gemeinsam die Geschichte aus, die Figuren, die Plots... Dann schreibt einer das Exposé, der andere liest es, und die Diskussion beginnt. Danach schreibt einer von uns das Bildertreatment, der andere schaut es sich an, und die Diskussion geht weiter.


Eva Zahn: So gehen wir Schritt für Schritt vor. Der eine schreibt, der andere geht drüber, mal mit feinem Werkzeug, mal mit der Kettensäge...


neuen Kommentar:

(Alle Beiträge werden moderiert)