Eva Zahn & Volker A. Zahn
Drehbuchautoren



Aktuelles


Das ist ein schöner Moment, wenn die Schauspielerinnen und Schauspieler zum ersten Mal deine Dialoge sprechen und sich an die Rollen und Charaktere heranpirschen. Stephan Kampwirth nuschelt seine Sätze souverän, Nina Kronjäger liest mit fester Stimme, und Thomas Heinze garniert seinen Text bereits mit jener Alphamännchen-Pose, die wir dieser Figur angedichtet hatten.

Leseprobe für „Was wir wussten - Risiko Pille“ (Arbeitstitel), unseren neuen Mittwochsfilm fürs Erste, ein Drama über den ganz alltäglichen Opportunismus am Arbeitsplatz (Ausstrahlung voraussichtlich im Herbst 2019). Fast alle Schauspielerinnen und Schauspieler, die an dieser Westside Produktion für den NDR mitwirken, sind nach Köln gekommen, die Stimmung ist gut, wir diskutieren über die Haltung der Figuren, streiten über einzelne Dialogsätze, überprüfen die Regie-Anweisungen, es gibt viele Fragen, ein paar wenige Missverständnisse, einmal wird es etwas lauter, aber am Ende weiß jeder, der im Raum ist – inklusive des Autoren-Paars –, ein bisschen mehr über die Geschichte, die Charaktere und die Vision dieses Dramas als vor der Leseprobe.
Regisseurin Isa Prahl hatte nichts gegen unsere Anwesenheit. Ganz im Gegenteil: Schauspielerinnen und Schauspieler stellen ständig Fragen, sie hadern oft mit ihrer Rolle oder kapieren nicht, warum sie sich in einer bestimmten Szene auf eine bestimmte Art und Weise verhalten sollen. Sie kommen dann manchmal auf komische Ideen, denken sich eigenen Text aus oder – der worst case! – „legen die Figur neu an“. Es gibt Regisseure, die gucken dann hilflos zu oder sie befeuern diesen Prozess noch. Wenn etwas Neues entsteht, so ihre Hoffnung, kommt bestimmt irgendwas Gutes dabei raus. Aber oft geht ein Film genau in diesen Momenten in die Hose, die innere Logik ist futsch, da ist es gut, wenn ein Autor, der das große Ganze im Blick hat und seine Figuren besser kennt als die eigene bucklige Verwandtschaft, sein Wissen in die Runde wirft und korrigierend oder erklärend eingreift.
Eine Leseprobe ohne Autorinnen und Autoren?
Eigentlich unlogisch!

Als wir renitente Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren vor über einem Jahr ausheckten, was „Spiegel online“ ein paar Wochen später zum „Aufstand der Autoren“ hochjazzte, ahnten wir nicht, dass auch Punkt 3 unserer „Kontrakt 18“ genannten Selbstverpflichtung auf so viel Widerstand stoßen würde: „Die Autorin/der Autor wird zu den Leseproben eingeladen“, heißt es da lapidar, und überdies, dass man uns bitte den Eintritt in Vertragsverhandlungen zukünftig (ab 1. Juli 2018) mit weiteren Optionen schmackhaft machen möge: Ladet uns zur Rohschnittabnahme ein, lasst uns gemeinsam und einvernehmlich die Regie besetzen, übertragt uns die Verantwortung für das Buch bis zur Drehfassung, und wenn ihr mit dem Film-Projekt an die Öffentlichkeit geht, solltet ihr lieber nicht unerwähnt lassen, wer sich das gute Stück ausgedacht hat.

Die Reaktionen in der Branche: Einerseits ungläubiges Kopfschütteln, ein leichter Anflug von Panik und bisweilen auch wütende Abwehr-Reflexe. Andererseits solidarischer Beifall aus allen Gewerken und Verwunderung darüber, dass diese Rebellion, die eigentlich Selbstverständliches fordert, nicht schon viel früher stattgefunden hat.

Viele Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren haben neben dem Hang zum Alkohol auch einen Hang zum Lamento. Jeder Kölner Autoren-Stammtisch, den wir in den Jahren vor „Kontrakt 18“ organisiert haben, war ein feuchtfröhlicher Ausflug ins Jammertal. Opa erzählt vom Krieg in der Filmschreiber-Variante, die Anekdoten von Knechtschaft und Entwürdigung sind legendär. Und nach der Kneipensause schwankten wir dann in dem Wissen, dass es das Leben mit Menschen unserer Profession nicht gut meint, zurück an den Schreibtisch und warteten einsam und geduldig auf die nächste Demütigung.
Das Leben nach „Kontrakt 18“ fühlt sich irgendwie leichter an. Über 200 Kolleginnen und Kollegen sind inzwischen dabei, wir tauschen uns aus, sprechen Warnungen aus, sondieren, wer gut und wer schlecht zu uns ist, wir nennen Ross und Reiter, rufen uns gegenseitig an, tauschen Zahlen aus. Wir ertränken nicht länger unseren Frust im Alkohol, sondern saufen uns einen kleinen Rausch an, ein angenehm beschwipstes Gefühl von Souveränität und neuem Selbstbewusstsein.
Oder anders ausgedrückt: Aus dem Jammerlappen-Geschwader ist eine taffe Truppe von Aufmuckern geworden, ein Haufen von Kreativen und Content-Heroes, die endlich realisieren, was sie wert sind. Seit „Kontrakt 18“ wird hauptsächlich darüber gesprochen, wie Gutes entstehen kann, und nicht mehr – wie in den Jahrzehnten vor „Kontrakt 18“ – darüber, wie Gutes verhindert wird.

„Kontrakt 18“-Bedingungen gab es auch schon in der Zeit vor „Kontrakt 18“. Die Verträge für „Was wir wussten – Risiko Pille“, für unsere Filme mit Nicole Weegmann oder für die ZDF-Serie „Zarah – Wilde Jahre“ (Regie: Richard Huber) wurden zwar noch vor dem „Aufstand“ abgeschlossen, aber die Zusammenarbeit mit uns verlief – mit kleinen Abstrichen – bereits im „Kontrakt 18“-Style. Allesamt schöne Projekte, kein Produzent wurde ruiniert, die Regie hat mit eigener Handschrift inszeniert, und in allen Fällen waren unsere Partner eher erfreut als genervt übers längere Mitmischen der Autoren (von der Regie-Auswahl über Textänderungen am Set bis hin zum Rohschnitt-Gucken). Viele Menschen in der Branche, die keine Drehbücher schreiben, meinen deshalb, dass eine vertragliche Fixierung der „Kontrakt 18“- Forderungen überflüssig sei. „Machen wir doch schon immer so!“ heißt es dann im Gutsherren-Sound, never change a winning horse!
Aber die Bedingungen am Markt haben sich verändert, eine Anpassung der Verträge ist überfällig, es gibt jetzt mehr Abnehmer für unsere Stoffe, die Monopol-Stellung der großen Sender ist Geschichte. Früher waren wir dankbar, wenn uns die Gnade eines Auftrags ereilte, und für diese Gnade haben wir uns eine Menge gefallen lassen: Den minderbegabten Regisseur, der „Ich kann diese Scheiße nicht inszenieren!“ brüllt und das Skript in die Ecke pfeffert. Statt den Mann wegen schlechten Benehmens vor die Tür zu setzen, wird ihm von Sender und Produktion unser Buch anvertraut. Er hat ja schon einige „Tatorte“ inszeniert, solide TV-Ware, da weiß man, was man hat...! Oder die Produzentin, die uns nach zwei Jahren harter Arbeit an einem TV- Film aus dem Projekt kickt, weil wir uns gegen den strammen Marsch ins Mittelmaß wehren. Der Rauswurf erfolgt am Telefon (sehr beliebt in der Branche), Schlussmachen wie picklige Teenager, die via WhatsApp ihre Beziehung beenden. Fünfzig Prozent Honorar-Einbuße, keine ordentliche Begründung, keine formale Kündigung, einfach nur ein gepflegter Tritt in den Hintern.

Gegen die Verrohung der Sitten sind wir natürlich auch zu Zeiten von „Kontrakt 18“ nicht gefeit. Nicht umsonst lautet die häufigste Frage vieler Produzenten, ob und wie man uns trotz „Kontrakt 18“ immer noch schnell und problemlos loswerden könne. Aber zu Zeiten, da sich mehr Firmen und mehr Sender für unsere Ideen interessieren

als vor zehn Jahren, haben genau diese Reaktionen für uns eine entscheidende Lenkungswirkung: Produktionsfirmen, die „Kontrakt 18“ ablehnen, sind für uns aus dem Rennen. Es gibt Produzenten, die die Beteiligung der Autoren an der Leseprobe vertraglich festschreiben – aber nur unter der Bedingung, dass der Autor die Reisekosten trägt. Die Botschaft ist klar: Kohle ist wichtiger als Qualität! Sollen wir solchen Leuten tatsächlich unsere Geschichten anvertrauen?! Auch Produktionsfirmen, die großzügig einräumen, dass der Autor zur Regie-Besetzung irgendwas sagen darf, was im Endeffekt niemanden interessiert, werden von der Liste unserer potenziellen Partner gestrichen. Der Vertrag für unseren neuen Borowski-„Tatort“ wurde nach Maßgabe von „Kontrakt 18“ gestaltet, am Ende einer angenehm sorgfältigen Suche stand Regisseur Hüseyin Tabak ganz oben auf der Wunschliste von Sender, Produktion und Autoren. Uns hat zur Zustimmung ein längeres Gespräch gereicht, das Erspüren von Hüseyins Leidenschaft für die Geschichte, zu sehen, wie jemand Lust und den Grips hat, sich auf diesen Stoff und die Figuren einzulassen... Bei „Was wir wussten – Risiko Pille“ war es nicht anders. Isa Prahl war sich von Anfang an unserer Vision bewusst, ihr war klar, dass sie keinen Pharma-Skandal erzählt, sondern eine Geschichte über die Verführbarkeit der Menschen. Wir haben nicht „bestimmt“, dass sie Regie führt, sondern wir haben uns ganz einfach mit ihr und ihrer Regie-Vision wohlgefühlt. Isa und Hüseyin sind keine Erfüllungs-Gehilfen, sondern haben ihren ganz eigenen künstlerischen Anspruch, sie suchen den Kontakt zum Autoren-Team, sie lassen sich mit Leidenschaft und Klugheit auf unsere Geschichten ein und bereichern sie mit ihrer inszenatorischen Kunst, sie stecken keine Claims ab, sie sind keine Regie-Autokraten, sie machen eigene tolle Vorschläge, und wenn ihre Vorschläge weniger toll sind, lassen sie sich diese Vorschläge auch wieder ausreden, sie sprechen jede Text-Änderung mit uns ab, sie maßen sich nicht an, die besseren Autoren zu sein (so wie wir uns niemals anmaßen würden, die besseren Regisseure zu sein). Und wenn einer von beiden uns gebeten hätte, bei der Leseprobe nicht dabei zu sein, weil er/sie diese wichtige erste Begegnung mit den Schauspielern als intimen Moment für sich bewahren wollte, hätten wir nichts dagegen gehabt.

Weil wir ihnen vertrauen!
Und das unterscheidet diese Art von Regisseuren von den Inszenierungs-Königen und Set-Fürsten, die in der Debatte um „Kontrakt 18“ keine überfällige Anpassung feudalistischer Zustände ans zeitgemäße und Team-orientierte Filmemachen sehen, sondern einen Anschlag auf ihre Vormachtstellung. Kein Wunder, dass bei diesem Regie-Typus seit „Kontrakt 18“ die Angst vor „schwarzen Listen“ umgeht. Allen Ernstes wurde auf einer Mitgliederversammlung des „Bundesverbands Regie“ darüber diskutiert, die moderaten Kräfte aus dem „Verband Deutscher Drehbuchautoren“ gegen die Hardliner und Extremisten von „Kontrakt 18“ in Stellung zu bringen. Geht’s hier noch um Filme oder schon um den Weltfrieden!?

Dabei ist die schwarze Liste in Wirklichkeit eine weiße. Namen von fairen Produktionsfirmen, Redakteuren oder Regisseuren, die zeigen, dass das Prinzip der Augenhöhe unter Kreativen nicht nur funktioniert, sondern Großartiges hervorbringt, stehen in den aktuellen Favoriten-Charts der Autorenschaft ganz weit oben, viele Firmen und Regie-Kollegen ziehen trotz anfänglicher Skepsis nach. Endlich arbeitet zusammen, was zusammen gehört, und alles andere möge bitte der Markt richten: Regisseure, die „Kontrakt 18“-Bedingungen als Anmaßung empfinden, sollen sich Autoren suchen, die keine Lust oder das Bedürfnis haben, die zusätzliche Mühe und Verantwortung, die „Kontrakt 18“ mit sich bringt, zu schultern. Und Redakteure und

Produzenten, die das Drehbuch für eine eher großzügig interpretierbare Werkstufe halten, sollen sich ebenfalls an den passenden Autoren-Typ halten.
Wo ist das Problem?!
Das Problem ist die Änderung von Abläufen, die sich über Jahre eingespielt haben, das Problem ist eine konservative Fixierung auf die Regie, das Problem ist die mutmaßliche Götterdämmerung, die manche, die sich für Götter halten, nicht ertragen, das Problem ist das Ende der Zuteilungs-Willkür, die Buch und Regie oft nicht nach dem Prinzip der bestmöglichen Kombination verknüpft hat, sondern nach Gutdünken, wegen einer Vorliebe fürs Namedropping oder aus schlichter Gedankenlosigkeit. Und das Problem ist die Angst vor enervierenden Einmischungen, vor noch mehr Diskussionen, vor einem Schuss Unberechenbarkeit. „Beim Film“, schrieb uns ein Produzent allen Ernstes, „reden schon so viele Leute mit. Wo soll das hinführen, wenn sich jetzt auch noch die Autoren einmischen!?“ Natürlich gehen wir vielen Leuten in der Branche auf die Nerven. Manche Produzenten haben Angst vor unseren mutmaßlichen Allmachts-Fantasien, die sie geradewegs in den finanziellen Untergang führten, wir seien jetzt in der Lage, große Projekte mit einem Fingerschnipsen platzen zu lassen. Der Sender will Regisseur XY, die Autorin kann ihn nicht leiden, er riecht aus dem Mund und guckt ihr nicht nur in die Augen. Weg damit! Projekt tot! Produzent pleite!

Nach einem Jahr „Kontrakt 18“ haben sich die Nerven etwas beruhigt, es ist noch kein Millionen-Deal an schlecht gelaunten Autoren gescheitert, kein Produzent musste Konkurs anmelden, viele Regisseure finden sich zwar neuerdings in Casting- Situationen wieder („Wer passt zum Buch?“), aber es wird gedreht und gedreht und gedreht... und die Qualität zeigt eher nach oben als kellerwärts.

Wir machen diesen Job seit über 25 Jahren, circa 130 Drehbücher, die wir geschrieben haben, wurden verfilmt, wir lieben diesen Job, der mitunter hart, mühselig, kräfte- und nervenzehrend ist, wir freuen uns auf jedes neue Projekt, weil wir das Abenteuer, in das wir uns dabei stürzen, lieben, es macht Spaß, gemeinsam mit klugen Menschen etwas Großartiges auf die Beine zu stellen. Aber nach so vielen Jahren in diesem Beruf hat uns „Kontrakt 18“ noch einmal den ultimativen Motivationsschub verschafft. Wir werden auch weiterhin lustvoll, hitzig und kontrovers mit Regie, Sendern und Produktion über unsere Geschichten und Figuren streiten, wir werden uns freuen, wenn jemand noch bessere Ideen hat als wir, wir werden unsere Art, zu arbeiten, nicht ändern...aber unsere Haltung und die Haltung uns gegenüber haben sich verändert, Augenhöhe und Respekt sind keine Versprechen mehr, sondern werden gelebt, und wenn Hüseyin dann anruft und darum bittet, noch einmal kurz mit uns über Szene 73 zu reden, weil ihm die Haltung der Figuren in diesem Bild noch unklar ist, wenn uns der nette Produzent aus Köln für unser Serien-Projekt einen zusätzlichen Creative Producer-Posten anbietet, wenn unser Stück für die langlaufende Serie in einen anderen Drehblock verschoben wird, weil wir unser Buch vor einem absehbar grausamen Regie-Schicksal bewahren wollen, und wenn dann zeitnah endlich auch über angemessene Honorare gesprochen wird... dann fragst du dich, warum wir auf diese Signale für eine bessere Welt der Drehbuchautoren eigentlich so lange warten mussten.

Auf dem Foto: „Kontrakt 18“-Mitinitiatoren Orkun Ertener, Kristin Derfler, Annette Hess und Volker A. Zahn (v.l.n.r.)


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