Eva Zahn & Volker A. Zahn
Drehbuchautoren



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Am 26 März strahlt das Erste um 20, 15 Uhr den neuesten TATORT von Eva Zahn und Volker A. Zahn aus: „Abbruchkante“ ist – nach „Hubertys Rache“ – der zweite TATORT, den das Ehepaar für die Kölner Ermittler geschrieben haben. Der Film entstand auf der Grundlage vieler Besuche und Gespräche im rheinischen Braunkohlerevier und handelt von den tiefen Verwundungen und Verletzungen, die eine rücksichtslose Politik gegen Mensch und Natur hinterlässt.

Torsten C. Fischer inszenierte „Abbruchkante“ an Originalschauplätzen, die Bildgestaltung oblag Theo Bierkens, für die Produktion zeichnete Jan Kruse (Bavaria Film) verantwortlich, Götz Bolten (WDR) betreute das Projekt redaktionell.

Neben Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Juliane Köhler, Tinka Fürst, Joe Bausch und Roland Riebeling standen diesmal u. a. Barbara Nüsse, Lou Strenger, Peter Franke, Leonard Kunz, Jörn Hentschel, Daniela Wutte, Uta Maria Schütze, Leopold von Verschuer und Ferhat Kaleli vor der Kamera

Und darum geht’s: Die (fiktive) Ortschaft Bützenich, am Rande von Köln gelegen, sollte eigentlich dem Tagebau weichen. Als bekannt wird, dass das alte Dorf doch nicht abgebaggert wird, wünschen sich viele Bürger*innen die alte Dorfgemeinschaft zurück. Aber die Zeit lässt sich nicht einfach zurückdrehen, und so entstehen Wut, Enttäuschung und Trauer. In diese zerrissene Gemeinschaft geraten die Hauptkommissare Max Ballauf und Freddy Schenk, als sie nach Bützenich gerufen werden: Dr. Christian Franzen, der Arzt des Ortes, ist in einem verlassenen Haus erschossen aufgefunden worden. Nach und nach stellt sich heraus, dass eigentlich jeder in der alten Dorfgemeinschaft ein Motiv hatte, den Allgemeinmediziner zu ermorden…

Über ihre Arbeit zum Drehbuch für den TATORT haben sich Eva Zahn und Volker A. Zahn in einem Interview mit dem WDR geäußert:

Welchen Einfluss hat das Leben an der „Abbruchkante“ für die Menschen in Alt- und Neu-Bützenich?

Volker A. Zahn: Unser ‚Tatort‘ erzählt von Menschen, die seit vielen Jahren im Ausnahmezustand leben. So gnadenlos wie sich die Schaufelbagger durch die Landschaft fressen, so nachhaltig haben Zukunftsängste und der drohende Heimatverlust auch Verwüstungen in den Seelen vieler Bewohner:innen von Bützenich hinterlassen. Eine über Generationen gewachsene Dorfstruktur wurde geschleift, Nachbarschaften wurden auseinandergerissen, Familien haben sich entzweit, und Orte, die eng mit persönlichen Erinnerungen verknüpft sind, drohen für immer im großen Baggerloch zu verschwinden. Hinzu kommen zwischenmenschliche Verwerfungen im Zuge der Umsiedlung: Die Spaltung der Dorfgemeinschaft in Widerständler und Mitmacher, der Kampf um die besten Bauplätze im neuen Dorf, die Verzweiflung derer, die alles aufgegeben haben und jetzt hilflos realisieren, dass die Bagger das Dorf doch verschonen.

Eva Zahn: In unseren Figuren haben wir versucht, diese psychische und soziale Ausnahmesituation zu spiegeln: Die Tragik des alten Ehepaars, das im neuen unwirtlichen Dorf seinen Lebenswillen verliert, die Erschöpfung derjenigen, die seit Jahren erbitterten Widerstand leisten und sich jetzt resigniert fragen, ob der Preis, den sie bezahlt haben, nicht viel zu hoch war, der findige Arzt und Einflüsterer, der aus dem Heimatverlust ein Geschäft macht, der verlorene junge Mann, der zu exekutieren hilft, was seine Großeltern, die er über alles liebt, in den Abgrund reißt. Kurzum: Wir erleben exemplarisch im fiktiven Bützenich, ob alt oder neu, eine zerrissene Gesellschaft, eine Gemeinschaft, die keine Orientierung mehr hat und – ihrer Wurzeln und Erinnerungsstätten beraubt – so verwirrt in eine ungewisse Zukunft torkelt, als habe sie eine kollektive Alzheimer-Erkrankung befallen.

Alt- und Neu-Bützenich ist ein Schauplatz, an dem jeder jeden kennt. War dieses Setting für diesen Film für Sie von Anfang an gesetzt?

Eva Zahn: Ja, wir sind in den letzten Jahren des Öfteren ins rheinische Braunkohlerevier gefahren, haben vor Ort viele Gespräche geführt und waren jedes Mal von dieser seltsamen Atmosphäre dort fasziniert. Wunderbare Vierkanthöfe, tolle historische Wohnhäuser, prächtige Kirchen, wunderschöne Gärten: dem Untergang geweiht. Ganze Wohnstraßen mit Eigenheim-Träumen aus dem letzten Jahrhundert: verrammelt, vergammelt, teilweise demoliert. Dazu die Camps der Aktivist:innen im Wald, der Sicherheitsdienst, der mit seinen Pick-ups durch die Dörfer brettert. Und auf der anderen Seite diese wunderlichen neuen Dörfer: Ohne durchdachtes Konzept in die Landschaft gewürfelt, sehr Steingarten-affin, eine bizarre architektonische Kraut- und Rüben-Veranstaltung.

Volker A. Zahn: Und das alles im Schatten einer geradezu irrsinnigen Landschafts- und Naturzerstörung. Diese seltsame Mischung aus Alt und Neu, aus Resignation und Rebellion, dieses beinahe postapokalyptische Ambiente, diese mysteriöse Stimmung wie aus einem David Lynch-Film hat uns als Schauplatz für ein Drama schon lange gereizt. Wir wollten von dieser Abbau-Thematik erzählen, ohne einen Themen-‚Tatort‘ zu machen, in dem sich die Protagonist:innen energie- und umweltpolitische Argumente um die Ohren hauen, die man in der Zeitung oder bei Wikipedia nachlesen kann. Uns ging es um die tieferen Verletzungen, die dieser Raubbau an Mensch und Natur anrichtet.

Auch bei „Hubertys Rache – Ihrem ersten Drehbuch für den „Tatort“ aus Köln – spielte der Drehort mit dem Ausflugsschiff auf dem Rhein eine zentrale Rolle. Worin liegt der Reiz, Ballauf und Schenk nicht im gewohnten Großstadt-Setting ermitteln zu lassen?

Volker A. Zahn: Nichts gegen das Großstadt-Setting! Die letzten beiden Kölner ‚Tatorte‘, ‚Spur des Blutes‘ und ‚Schutzmaßnahmen‘, haben die Stadt wunderbar in Szene gesetzt. Aber es macht eben auch Spaß, die Helden aus ihrem angestammten Revier herauszuholen. In Köln sind sie mit den Menschen und Sitten vertraut, die Ermittlung dort ist ein Heimspiel. Im Braunkohlerevier müssen sie erst mal kapieren, wie die Leute ticken und nach welchen Regeln hier gespielt wird. Erzählerisch hat so eine milde ‚Fish out of water‘-Situation immer einen großen Reiz.

Eva Zahn: Wichtig war uns auch, unsere Helden – vor allem Ballauf – in dieser beinahe entrückten Atmosphäre an der Abbruchkante auf möglichst unaufdringliche Weise mit Selbstzweifeln zu konfrontieren. Lost in Bützenich! In unserer Geschichte geht es ja immer auch um die Frage, was die Menschen glücklicher macht: Das Festhalten am Bewährten oder das Abenteuer eines Neustarts. Freddy Schenk ist durch seine Familie geerdet und sieht wenig Änderungsbedarf. Aber in Max Ballauf, dem Lonesome Wolf, löst die Verlorenheit und Orientierungslosigkeit der Menschen in Bützenich etwas aus, er fühlt sich ihnen auf seltsame Weise verbunden. Sein Mut, Neues zu wagen, hält sich allerdings in Grenzen. Oder wie Max Ballauf es sinngemäß ausdrückt: Ich hab Schiss, dass mein bisheriges Leben abgebaggert wird und ich nach Neu-Ballauf ziehen muss!

Mehr Infos zum Film gibt es unter: https://presse.wdr.de/plounge/wdr/programm/2023/03/20230326_uebersicht_tatort_koeln.html

 


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