Eva Zahn & Volker A. Zahn
Drehbuchautoren



Aktuelles


Anlässlich des zehnten Jahrestags der Duisburger Loveparade-Katastrophe, bei der im Juli 2010 21 Menschen ums Leben kamen und Hunderte schwer verletzt und nachhaltig traumatisiert wurden, zeigt das Erste am 22. Juli um 20, 15 Uhr noch einmal das von Eva Zahn und Volker A. Zahn geschriebene WDR-Drama „Das Leben danach“ (Regie: Nicole Weegmann). Für ihr Buch wurden die Autoren 2018 mit dem renommierten Robert Geisendörfer Preis, dem Medienpreis der evangelischen Kirche, ausgezeichnet. Zuvor war die Produktion (winwin film, Valentin Holch) bereits für den Grimme-Preis nominiert worden und lief auf verschiedenen Festivals (München, Brooklyn u. a.). Beim Kinofest Lünen gewann „Das Leben danach“ den Publikumspreis, und das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen zeichnete das Drama mit dem „Medienkulturpreis“ 2018 aus. Auch die Kritiker ließen sich von dem Werk begeistern. „Oft erschlagen bei diesen Produktionen die großen Themen die kleinen Figuren“, befand „Der Spiegel“ und resümmierte: „Dass es hier nicht so ist, ist auch Regisseurin Nicole Weegmann und den Drehbuchautoren Eva und Volker A. Zahn zu verdanken. Die drei waren zusammen auch für den Mittelstandsselbstzerfleischungstrip ‘Mobbing‘ verantwortlich. Mag am Anfang bei ihren Arbeiten das gesellschaftspolitische Sujet stehen, so ist dieses Sujet doch stets in einen sozialen Kosmos eingebettet, dessen Figuren Leben atmen. Schönes, scheußliches Leben. (…) Ein Film, der zeigt, dass Trauer sich nicht per Fingerschnippen auflöst - und dass Katastrophen keine Jahrestage brauchen, um zu zeigen, wie sie in den Menschen nachwirken. Lebenszeichen aus dem Tunnel: Duisburg Calling!“ Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ urteilte: „‘Das Leben danach‘ ist großes Fernsehen“, und der Kritiker der „Welt“ schrieb: „Eva und Volker A. Zahn haben die Geschichte der Toni Schneider erfunden auf der Basis von Hunderten Gesprächen mit Hinterbliebenen, Familien, Freunden, Schicksalsgenossen. Jella Haase zerschmettert in diesem Film endgültig die letzten Reste jener Chantal, mit der sie in den ‘Fack ju Göhte‘-Filmen berühmt wurde. (…) Dass Toni und Sascha sich anziehen, versteht man sofort. Dass das eigentlich auch nicht gut gehen kann auch. Dafür, dass Tonis Geschichte von dem Moment an, da ihr der Leiter ihrer Selbsthilfegruppe steckt, was Sascha wirklich ist, ein einziger Amoklauf ist, wird sie von Nicole Weegmann geradezu mit Samthandschuhen angefasst. „Das Leben danach“ ist kein Untersuchungsausschuss, kein Prozess. In diesem Film stehen anders als in Ausschüssen und Prozessen die Opfer im Mittelpunkt und das, was Katastrophen wie die in Duisburg mit Überlebenden machen und mit denen, die mit Überlebenden leben müssen. (…)  Bei all dem Schrecklichen, das Sascha und Toni in sich tragen, das in sie hineinragt, das in Flashbacks und ein paar Dokumentarfilmszenen ohne jegliche Sensationsgier immer wieder mal als Albträume eingeblendet wird, bei alldem bleibt „Das Leben danach“ ein zutiefst menschlicher Film. Einer, der offensichtlich nah am Alltag ist. Lebendig. Und traurig. Und einen nicht loslässt.“

Neben der Ausstrahlung am 22. Juli im Ersten ist „Das Leben danach“ auch am 26. Juli um 20, 15 Uhr sowie am 7. August um 22, 30 Uhr auf ONE zu sehen.

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„Borowski und der Fluch der weißen Möwe“ ist der poetische Titel des zweiten „Tatorts“, den Eva und Volker A. Zahn für die Kieler Kommissare Klaus Borowski (Axel Milberg) und Mila Sahin (Almila Bagriacik) geschrieben haben. Das blutige Krimidrama, das im Umfeld einer Clique von Polizeischülern spielt, wurde am 10. Mai um 20, 15 Uhr im Ersten ausgestrahlt. 8, 7 Millionen Zuschauer verfolgten die Geschichte der beiden Grimme-Preisträger, die vom vielfach ausgezeichneten Kino-Regisseur Hüseyin Tabak inszeniert wurde.  

Und darum geht's: Während eines Workshops, den die Kommissare Klaus Borowski und Mila Sahin an einer Kieler Polizeischule abhalten, kommt es zu einem fatalen Zwischenfall. Völlig überraschend sticht die Polizeischülerin Nasrin Erkmen (Soma Pysall) bei einer praktischen Übung auf ihren Mitschüler Sandro (Louis Held) ein. Der junge Mann erliegt wenig später seinen Verletzungen. Der Fall sorgt für öffentliche Empörung. Fragen nach den Gründen ihres Tuns prallen an Nasrin ab. Sie kann sich abgeblich an nichts erinnern. Oder hat sie etwas zu verschweigen? Für Tobias Engel (Enno Trebs), Nasrins Freund und ebenfalls Teilnehmer an dem Workshop, bricht eine Welt zusammen. Bei den Ermittlungen stoßen Borowski und Sahin auf den Fall von Jule (Caro Cult): Die junge Frau hatte sich kurz vor der Tat vor Tobias‘ Augen von einem Hochhaus gestürzt – und war eng mit Nasrin befreundet…

Thoma Gehringer schreibt auf tittelbach.tv: „Traumatisierung, Kontrollverlust und Rache. Diese ‘Tatort‘-Episode ist kein klassischer Ermittlungskrimi, sondern ein psychologisch stimmiges, bedrückendes Drama.“ Für den Kritiker von kino.de ist „Borowski und der Fluch der weißen Möwe“ einer „der gelungensten Krimis der aktuellen ‘Tatort‘-Saison“. Eva Zahn und Volker A. Zahn sei es „besonders hoch anzurechnen, dass sie den Mut beweisen, unbequeme Entscheidungen zu treffen.“ Der Film beweise, „dass es nicht reicht, einfach nur mit den Sehgewohnheiten seiner Zuschauer zu brechen, um automatisch einen guten ‘Tatort‘ abzuliefern. Einmal mehr wird klar, dass eine spannende und in sich schlüssige Geschichte das einzig wahre Fundament ist, auf dem sich alle Beteiligten nach Belieben austoben können.“

Die Rheinische Post schwärmt von einem „spannende“, temporeiche Krimi“, rät indes: „Ausschalten sollten allerdings Trauma-Patienten und psychisch Labile jeder Art.“ „Wer kein Blut sehen kann“, warnt auch die Münchner Abendzeitung, „ist bei diesem Krimi an der falschen Adresse. Schon fast à la Quentin Tarantino fließt einiges davon - selbst die beiden Kommissare sind von oben bis unten damit bedeckt. Alle anderen können sich am Sonntagabend auf einen spannenden und gelungenen ‘Tatort‘ freuen.“ Einen „düsteren Krimi allererster Güte“ hat der Kritiker von n-tv gesehen, WDR 5 lobt das „sehr gute Drehbuch“, und der „Tatort“-Check von SWR 3 resümiert: „Dieser ‘Tatort‘ ist krass, und er ist erschütternd. (…) Die Handlung kommt mit immer wieder überraschenden Wendungen, die aber allesamt denkbar und realistisch wirken. Ein ‘Tatort‘ über Liebe und Freundschaft, über Rache und Selbstjustiz. Ausgezeichnet gespielt übrigens von allen Beteiligten. Kompliment! Volle Punktzahl für einen intensiven ‘Tatort‘: fünf von fünf Elchen.“ Und im Berliner „Tagesspiegel“ schwärmt Markus Ehrenberg: „Nordic Noir: Keine Mätzchen, kein Privatkram, eingeschworene Polizeischüler, die von der Vergangenheit eingeholt werden, treffen auf eigenwillige Kommissare, die sich im Laufe der Ermittlungen auf Augenhöhe näherkommen, rein beruflich. Um sie herum eine Spirale der Gewalt, ein Drama um Schuld, Rache und innigste Freundschaft mit fast Shakespeareschen Ausmaßen – sowie einem stillen, gefiederten Besucher in der Mitte, der dem Blutbad eine fast meditative Balance gibt.“  

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Am 10. Mai zeigt das Erste um 20, 15 Uhr den neuen TATORT von Eva Zahn und Volker A. Zahn: „Borowski und der Fluch der weißen Möwe“ erzählt von einem blutigen Drama an einer Polizeischule, Kino-Regisseur Hüseyin Tabak hat bei diesem Projekt erstmals fürs Fernsehen inszeniert, zum Cast zählen außer Axel Milberg und Almila Bagriacik u. a. Soma Pysall, Enno Trebs, Stefan Hegli und Anja Antonowicz. Zur Geschichte und Buchentwicklung hat das Autorenpaar dem NDR ein paar Fragen beantwortet:

Frage: Ihr „Tatort“ erzählt von einer Gewalttat in der Polizeischule, von einer Vergewaltigung und von Rache. Haben Sie, wie so oft in Ihren Filmen, Fälle aus der Realität aufgegriffen?

Eva Zahn: Der Wunsch, den Fall an der Polizeihochschule spielen zu lassen, kam von Seiten der Redaktion. Wir haben darin eine gute Möglichkeit gesehen, die Kommissare Borowski und Sahin stärker in den Fall zu involvieren, vor allem emotional. Und bei der Backstory haben wir uns tatsächlich mal wieder von der Realität inspirieren lassen, von einem sehr tragischen Fall von Gruppenvergewaltigungen an jungen Mädchen.

Volker A. Zahn: Als thematische Inspirationsquelle würde ich auch die Gespräche und Recherchen rund um unseren Film „Das Leben danach“ über die Duisburger Loveparade-Tragödie benennen. Wir haben uns damals sehr intensiv mit dem Thema „Trauma“ beschäftigt und mit der Frage, wie Menschen fundamental erschütternde Ereignisse verarbeiten oder verdrängen. Unsere damalige Fachberaterin Dr. Sibylle Jatzko, Deutschlands bekannteste Trauma-Therapeutin, hat uns auch beim Verfassen dieses Buchs wieder mit ihrer Expertise zur Seite gestanden.

Frage: Die Kommissare werden zu Zeugen, wie eine Polizeischülerin bei einem Rollenspiel einen Mitschüler tötet. Was löst diese Tat in den Ermittlern aus?

Eva Zahn: Normalerweise sind Borowski und Sahin ja immer erst vor Ort, wenn der Mord schon passiert ist, da ergibt sich – bei aller Betroffenheit, die so eine Bluttat herruft –, meistens eine professionelle Distanz. In unserem Fall sind sie Tatzeugen und somit emotional unmittelbar involviert. Zudem müssen sie sich die Frage stellen – und gefallen lassen –, ob sie diesen Mord nicht hätten verhindern können. Und wer von ihnen wie viel Verantwortung trägt.

Volker A. Zahn: Borowski und Sahin kennen die Täterin und das Opfer sehr gut, sie versuchen an der Hochschule, gute Polizisten aus ihnen zu machen, und dann explodiert plötzlich vor ihren Augen die Gewalt. Natürlich kommen da auch bei unseren Helden unangenehme Fragen und Selbstzweifel auf: Habe ich etwas übersehen? Gab es irgendwelche Warnsignale? Hat meine Menschenkenntnis versagt?

Frage: Haben Sie recherchiert, wie Polizisten ausgebildet werden? Werden die Schüler zu einer gewissen Aggressivität erzogen?

Eva Zahn: Wie bei jedem Buch, das wir schreiben, haben wir auch für diesen „Tatort“ das Milieu recherchiert, und natürlich haben wir auch mit Polizeischülern gesprochen. Interessant fanden wir tatsächlich, dass junge Polizisten lernen, „kontrolliert zu eskalieren“, das heißt, sie müssen bei ihren Einsätzen in der Lage sein, eine gewisse einschüchternde Autorität auszustrahlen. Aber natürlich bewegen sich die Beamten da auf dünnem Eis: Wie viel „Robustheit“ ist noch erlaubt? Wo ist die Grenze zur Übergriffigkeit und Gewalt?

Volker A. Zahn: Gerade für junge, unerfahrene Polizisten, die tagtäglich mit Aggressionen, Angriffen oder wüsten Beschimpfungen zu tun haben, ist es wichtig, die rechtlichen Grenzen ihres Handels zu kennen und zu respektieren. Unser Film zeigt ja recht drastisch, welche Folgen es haben kann, wenn Polizisten in dieser Hinsicht die Orientierung verlieren...

Frage: Borowski ist Dozent an der Akademie. Was sind die wichtigsten Lektionen, die er seinen Schülern beibringen will? 

Volker A. Zahn: In unserer Geschichte werden die jungen Polizisten zu Beginn mit einer Selbstmörderin konfrontiert und können ihr nicht helfen. Sie sind hilflos und überfordert. Sie haben das gleiche Problem wie später auch Borowski: Sie fühlen sich schuldig, sie müssen lernen, mit diesem Gefühl umzugehen und sich davon nicht auffressen zu lassen. Aber Borowski zeigt, dass es selbst einem gestandenen Polizisten wie ihm immer noch schwerfällt, eigene Fehler – oder auch nur vermeintliche Fehler – zu akzeptieren.

Frage: Wie kommen die jungen Polizisten dazu, das Recht in die eigene Hand zu nehmen? 

Eva Zahn: Wir wollen nicht spoilern. Aber es geht um starke Emotionen wie Hilflosigkeit, Wut und Hass. Und dann kommt auch noch eine Portion Unglück dazu. Gewalt zieht Gewalt nach sich, aus Opfern werden Täter, aus Tätern werden Opfer. Und am Schluss sind alle Verlierer.

Frage: Die Täterin Nasrin ist mehr noch ein Opfer. Würden Sie auf unschuldig plädieren?

Eva Zahn: Wir haben es in diesem Fall mit einem sehr schwer traumatisieren Menschen zu tun, und deshalb würde ich auf „unzurechnungsfähig“ plädieren. Bei unseren Recherchen hat uns im Übrigen überrascht, dass es nach der Tat keinerlei psychologische Hilfe oder Betreuung selbst für offensichtlich schwer erkrankte Täter wie Nasrin gibt. Die Ermittlungen nehmen ihren gewohnten Gang, Therapeuten werden in die Vernehmungen nicht eingebunden. Erst wenn der Prozess anläuft, kommt es zu einer medizinischen Begutachtung.

Frage: Nasrins Tat zieht viele Menschen mit in den Abgrund. Erzählt Ihr „Tatort“ eine große Tragödie?

Volker A. Zahn: Ja, es geht um verwüstete Lebensläufe, um die Wucht eines schweren Traumas, um Hass, Wut, Ohnmacht und darum, wie durch Gedankenlosigkeit und Zufälle eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt wird... und mittendrin unsere Helden, die mit sich und ihrem Handeln hadern.

Eva Zahn: Uns war es auch diesmal wichtig, einen erzählerischen Ansatz jenseits der üblichen Ermittler-Krimis zu finden, es geht in unserer Geschichte eben nicht um die Frage, wer der Mörder ist, sondern wie und warum Menschen zu Mördern werden. Nasrins Tat ist nicht der Anfang dieser Tragödie, sondern „nur“ ein weiteres Kapitel in einem Reigen schicksalhafter Verkettungen und Eskalationen.

Frage: Sind die Kommissare machtlos gegen den „Fluch der weißen Möwe“?

Eva Zahn: Es werden unseren Kommissaren jedenfalls ziemlich drastisch ihre Grenzen aufgezeigt. Am Ende gibt es zwar eine Verhaftung, aber der bittere Beigeschmack, die Entfesselung der Gewalt nicht gestoppt zu haben, bleibt.

Frage: Sie setzen sich seit Jahren in der Initiative „Kontrakt 18“ für mehr Mitspracherechte der Autoren ein. Was haben Sie erreichen können?

Volker A. Zahn: Wir haben „Kontrakt 18“ vor knapp zwei Jahren mit circa 30 Kolleg*innen ins Leben gerufen. Die Selbstverpflichtung, nur noch Verträge zu unterzeichnen, in denen uns explizit wichtige Mitentscheidungsrechte zugesichert werden, haben mittlerweile über 200 Autorinnen und Autoren unterschrieben. Allein im letzten Jahr wurden über hundert Verträge nach den Vorgaben von „Kontrakt 18“ abgeschlossen. Es gab und gibt noch immer Gegenwind, in manchen Branchen-Kreisen herrscht Verunsicherung, aber unser Anspruch, auf Augenhöhe zu arbeiten, um das Produkt besser zu machen, hat inzwischen auch viele Zweifler überzeugt. „Borowski und der Fluch der weißen Möwe“ ist unter „Kontrakt 18“-Bedingungen entstanden, und für uns ist die Zusammenarbeit mit Sabine Holtgreve vom NDR, Studio Hamburg-Produzent Johannes Pollmann und unserem großartigen Regisseur Hüseyin Tabak ein gelungenes Beispiel, wie modernes und zeitgemäßes Zusammenarbeiten beim Filmemachen funktioniert. Unter anderen Bedingungen wollen Eva und ich auch nicht mehr arbeiten.

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3, 9 Millionen Zuschauern haben am Abend des 23. Oktober das von Eva Zahn und Volker A. Zahn geschriebene Pharma-Drama „Was wir wussten – Risiko Pille“ (Regie: Isa Prahl, Produktion: Westside Film, Martin Zimmermann) verfolgt – und den Film damit zum meistgesehenen Programm des Tages gemacht. Erzählt wird von der Markt-Einführung einer umstrittenen Antibaby-Pille und dem Dilemma eines Pharma-Mitarbeiters, der zwischen moralischen Skrupeln, Alltagszwängen und Loyalitäts-Konflikten zerrieben wird. Der Film befeuerte nicht nur die öffentliche Diskussion über die Gefahren hormoneller Anti-Konzeptiva der 3. und 4. Generation und nötigte den BAYER-Konzern zu einer offiziellen Stellungnahme, er polarisierte mit seiner radikalen Erzählart, die einen Opportunisten zum Hauptcharakter macht, auch die Kritiker. Ein Autor des Berliner „Tagesspiegels“ entdeckte im Drehbuch „semantische Klischees aus dem Setzkasten der Kapitalismuskritik“, „quotenmeter.de“ fand, dass man den moralischen Wankelmut der Hauptfigur nicht nur zeigen darf, sondern scharf verurteilen muss, weil alles andere „unbotmäßig diejenigen exkulpiert, die ethische Schuld auf sich geladen haben“, und Tilman P. Gangloff hielt das Pillen-Drama in der „Stuttgarter Zeitung“ zwar für ausgesprochen „fesselnd“, mutmaßte aber auf „tittelbach.tv“, dass daraus „ein großartiger SciFi-Thriller (!) über die Gefahren der Anti-Baby-Pille hätte werden können.“ Auf der anderen Seite schwärmt die „Süddeutsche Zeitung“ von der „Ambivalenz“ der Charaktere, die „das Autoren-Ehepaar Eva und Volker A. Zahn gekonnt herausgearbeitet habe“, und in der FAZ resümiert Heike Hupertz: „Das Autoren-Ehepaar Eva und Volker A. Zahn ist für seine sozialkritischen Stoffe bekannt und vielfach ausgezeichnet worden. ‚Ihr könnt euch niemals sicher sein‘, ein Film über den vermuteten Amoklauf eines frustrierten jungen Mannes, oder der Film über die Folgen der Duisburger Love-Parade-Katastrophe ‚Das Leben danach‘, der Bluter-Skandal-Film ‚Unter der Haut‘ und insbesondere der Fernsehfilm ‚Mobbing‘ mit Tobias Moretti und Susanne Wolff sind Exempel für ihre Fernsehspiele, die dramaturgisch und in der Figurenzeichnung eher Komplexität als wohlfeile Eindeutigkeit suchen. Ihre Skandalfilme skandalisieren in der Regel nicht, heroische Protagonisten, Gerichtsdramenästhetik amerikanischer Filmtradition sind nicht ihr Fall.“ (vollständiger Text unter: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/gefahren-der-antibabypille-risiken-und-nebenwirkungen-im-film-16445967.html?fbclid=IwAR3gYxuakxKSho2q2bQj18cf4rqD8Pmv9GX8uF8BNJGLUmVQ8CaR2CJLt34).

Wer sich selbst eine Meinung über den Film bilden möchte, hat noch bis zum 7. Dezember Zeit, sich das Pharma-Drama in der ARD-Mediathek anzugucken: https://www.ardmediathek.de/ard/player/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2ZpbG1taXR0d29jaCBpbSBlcnN0ZW4vZjk4NTkyOGUtZDU5ZC00YmMyLTk5MTQtNGU3MWMyMWYxNTJi/

 

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Am 23. Oktober zeigt das Erste um 20, 15 Uhr den neuen Mittwochs-Film von Eva Zahn und Volker A. Zahn: „Was wir wussten – Risiko Pille“ (Regie: Isa Prahl, Produktion: Westside Film, Martin Zimmermann) erzählt von der Markt-Einführung einer umstrittenen Antibaby-Pille und dem Dilemma eines Pharma-Mitarbeiters, der zwischen moralischen Skrupeln, Alltagszwängen und Loyalitäts-Konflikten zerrieben wird. Für die ARD-Pressestelle haben die beiden Drehbuchautoren ein paar Fragen zu ihrem neuen Film beantwortet:

Frage: Sie greifen in Ihrem Film „Was wir wussten“ einen Fall von 2009 auf. Damals brachten Pharmakonzerne neue Anti-Baby-Pillen auf den Markt, ohne im Beipackzettel vor dem deutlich erhöhten Thrombose-Risiko zu warnen. Wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

Eva Zahn: Unser Produzent Martin Zimmermann kam mit der Idee, über die umstrittenen Antibaby-Pillen der 3. und 4. Generation einen Film zu machen, auf uns zu. Wir haben dann überlegt, welchen erzählerischen Zugang wir finden könnten – und zwar jenseits der konventionellen fiktionalen Aufarbeitung solcher Skandale. Gereizt hat uns schließlich an dem Thema die Frage, wie solche Risiko-Präparate auf den Markt kommen und was in den Leuten vorgeht, die für die Markteinführung verantwortlich sind. Das sind ja keine Unmenschen oder eiskalten Bösewichte, die ihren Kunden bewusst Leid zufügen wollen. Das sind Arbeitnehmer, die ihren Job möglichst gut und akkurat erledigen wollen und plötzlich mit Gewissensentscheidungen konfrontiert sind: Wie viel Verantwortung trage ich für verwerfliche Einwicklungen in meinem Unternehmen? Wie viel Widerstand kann ich leisten? Was bin ich bereit, zu riskieren? Das sind Dilemmata, mit denen Arbeitnehmer auch in anderen Branchen konfrontiert sind, nicht nur in der Pharma-Industrie. 

Volker A. Zahn:„Was wir wussten“ ist ein Working Place-Drama und ein Film über den ganz alltäglichen Opportunismus, es geht um die Frage, wie heldenhaft und mutig Menschen sein können, wenn sie in Strukturen und Sachzwängen gefangen sind und sich plötzlich Gewissensfragen stellen. Es geht um die Uralt-Frage, was zuerst kommt: Die Moral oder das Fressen? In vielen Fällen – und Filmen – wird diesbezüglich gern schwarz-weiß gemalt: Gut gegen Böse, die Rollen sind klar verteilt. Aber so einfach liegen die Dinge in der Realität nicht. Die meisten Leute da draußen sind keine Superhelden, sie gieren nach Anerkennung, sie arbeiten im Team, sie wollen keine Fehler machen, sie bringen ihren privaten Rucksack mit auf die Arbeit… das alles macht sie anfällig für Relativierungen, dafür, sich Skandalöses schönzureden, sich mitnehmen oder einlullen zu lassen. Und jeder, der weiß, dass etwas schiefläuft, wägt auch ab: Macht es Sinn, auf den Tisch zu hauen und Widerstand zu leisten? Ändert das irgendwas? Oder werde ich kleines Rädchen im Getriebe einfach nur ausgetauscht, und die Maschine läuft ungestört weiter? 

Frage: 2015 haben Sie in Ihrem Film „Unter der Haut“ den Bluter-Skandal fiktional aufbereitet. Haben Sie etwas gegen die Pharmaindustrie?

Eva Zahn: Nein. Es gibt ja sehr viele großartige und hilfreiche Produkte, die wir der pharmazeutischen Industrie verdanken. Grundsätzlich wollen die Pharma-Firmen gute und zuverlässige Produkte herstellen. Man will schließlich Geld verdienen, und jede Negativ-Schlagzeile ist schlecht für die Bilanzen. Das Problem beginnt dann, wenn die Risiken eines Produkts verschwiegen oder kleingeredet werden. Wenn man Wissenschaftler oder Ärzte anheuert, um mit Statistik-Tricks für bessere Ergebnisse zu sorgen. Wenn man den Patienten keinen reinen Wein einschenkt. Offenheit, Ehrlichkeit, auch der Mut, Fehler einzugestehen… das ist vielleicht dem Image eines Konzerns zuträglich, zur kurzfristigen Profitmaximierung taugt es nicht. 

Volker A. Zahn:Hinzu kommt in diesem speziellen Fall, dass die Konzerne für die neuen Antibaby-Pillen sehr junge Mädchen als Zielgruppe ausgeguckt hatten. Kundinnen, die man mit einem aggressiven Marketing für das Produkt gewinnen wollte. Man hat die Anti-Baby-Pillen der 3. und 4. Generation als Lifestyle-Produkte vermarktet, kleine Geschenke wie Schminkspiegel oder hübsche Etuis beigelegt und über verschiedene Internet-Portale und mit Hilfe von Influencern gezielt Teenager angesprochen: Hey Girls, wir haben hier ein neues Verhütungsmittel für euch, das macht eine reine Haut, eine tolle Figur und schönes Haar! Die Pillen hatten ja auch gleichzeitig eine Zulassung als Anti-Akne-Präparate erhalten. Wer als junger Mensch so perfide angefixt wird, ist zu einer verantwortungsvollen Risiko-Abwägung nicht in der Lage. Diese Strategie muss man den Konzernen vorwerfen, das ist die böse Fratze des Kapitalismus. Und entsprechend erfolgreich: Noch heute sind die Pillen der 3. und 4. Generation die meistverkauften Antikontrazeptiva in Deutschland. Der Bayer-Konzern hat in den letzten Jahren mit diesen Produkten, die so infam als Schönheitspillen beworben wurden, mehr Umsatz gemacht als mit Aspirin. In den USA hat das Pharma-Unternehmen mit mehr als 10.000 betroffenen Frauen Vergleiche geschlossen und bereits mehr als zwei Milliarden US-Dollar an Entschädigungen gezahlt. 

Frage: Ihr neuer Film erzählt anders als „Unter der Haut“ nicht von den Opfern, sondern von den Tätern.

Eva Zahn:Die betroffenen Frauen und Mädchen hatten keine Wahl. Sie wussten nicht, was sie da schlucken. Sie wurden kalt erwischt. Wir wollten aber einen Film über Menschen machen, die eine Wahl haben. Die sehr genau wissen, was sie tun.

Volker A. Zahn:Über die Selbsthilfegruppe „Risiko Pille“ waren die betroffenen Frauen von Anfang an in das Projekt involviert. Es war uns auch wichtig, dass sie im Film auftreten und im Abspann zu sehen sind. Wir erzählen im Film ja auch von ihren Protestaktionen auf einer Aktionärsversammlung. Aber grundsätzlich haben wir immer den Anspruch, uns den Themen nicht auf vorhersehbare Art und Weise zu nähern, wir suchen nach einem erzählerischen Ansatz, der überrascht, nach einem Plot, der die Erwartungen an diese Art von Geschichte bewusst unterläuft. 

Frage: Der amerikanische Regisseur Sydney Pollock hätte in einem solchen Fall Tom Cruise in die Firma eingeschleust, der die Machenschaften aufdeckt und die bösen Manager hinter Gittern bringt. Ist Ihre Hauptfigur so ein Held?

Volker Zahn: Eben nicht. Unsere Hauptfigur Carsten Gellhaus, ein Arzt, der jetzt für die Pharma-Industrie arbeitet, ist alles andere als ein Held. Pharma-Skandal, skrupellose, profitgierige Konzerne, unschuldige junge Opfer… das riecht tatsächlich nach Tom Cruise oder Erin Brokovich. Aber genau diese Art von Geschichte zu erzählen, reizt uns nicht. Uns hat interessiert, wie so ein Skandal ins Rollen kommt, welche Mechanismen greifen, um das Gewissen des Einzelnen zu beruhigen, wie die Arbeit im Team eine Eigendynamik entwickelt, die es einem abhängig Beschäftigten schwer macht, sich gegen den Arbeitgeber und die eigenen Kollegen zu stellen… all die Dinge eben, die sich nicht in Hollywood oder in den Köpfen fantasiebegabter Drehbuchautoren abspielen, sondern jeden Tag im Alltag vieler arbeitender Menschen.  

Eva Zahn: Es wird den Zuschauern nicht leichtfallen, sich mit unserer Hauptfigur zu identifizieren. Sie können sich nicht einfach zurücklehnen und die Drecksarbeit dem Helden überlassen. Wir konfrontieren unser Publikum stattdessen mit der Frage: Wie würdest du dich in einer solchen Situation verhalten? Hättest du den Mumm, Widerstand zu leisten oder die Brocken hinzuschmeißen? Wie manipulierbar bist du? Aber es geht uns nicht darum, ein bestimmtes Verhalten zu bewerten oder zu verurteilen, uns interessiert, wie sich die Figuren in solchen Konflikt- oder Dilemma-Situationen verhalten, wie sie versuchen, irgendwie ihre Würde zu wahren…  

Frage: Wie viel Verantwortung kann der Einzelne schultern?

Eva Zahn: Natürlich muss sich jeder von uns fragen, ob er mit dem, was er tut, kauft oder produziert, anderen Menschen oder der Umwelt schadet, aber wenn wir eine weniger wirtschaftsfreundliche Politik mit strikteren Reglementierungen und Vorschriften hätten, könnte man den Bürgern manches Dilemma ersparen. Stichwort: Flight Shame.Die Lobbyisten leisten ganze Arbeit, und die Regierungsparteien machen sich lieber einen schlanken Fuß und schieben dem Einzelnen die Verantwortung zu. In Frankreich hat die Politik gehandelt: Da sind die Pillen der 3. und 4. Generation nicht verschreibungsfähig, werden also nicht von den Kassen bezahlt. Die Thrombose-Fälle sind spürbar zurückgegangen.  

Frage: Die Zuschauer hasten mit den Protagonisten von einem Meeting ins nächste. Haben Sie recherchiert, wie solche Besprechungen in der Pharmaindustrie ablaufen?

Volker A. Zahn: Ja, wir hatten sehr gute Informanten in der Branche. Die haben uns eine Menge über die internen Abläufe erzählt, über die Gruppendynamik innerhalb solcher „Action Teams“ oder den manchmal grotesken Konferenz-Jargon. Auch dass ein Konzern-Mitarbeiter nicht will, dass seine Familien-Mitglieder ein Medikament nehmen, das seine Firma gerade auf den Markt gebracht hat, ist nicht frei erfunden.

Frage: Schon 2012 haben Sie in Ihrem Psychodrama „Mobbing“ erzählt, was die Arbeitswelt in einem anrichtet. Der Schauplatz des Films war die Familie eines gemobbten Angestellten. 

Volker A. Zahn: Mit „Mobbing“ haben wir einen Film über die Arbeitswelt gemacht, ohne diese Welt zu betreten, es ging um die Auswirkungen des Jobs aufs Privatleben. Diesmal haben wir den Spieß umgedreht und zeigen, wie auch familiäre oder persönliche Konflikte das Verhalten im Job beeinflussen. In Familie und Beruf spielen sich die die wildesten Geschichten ab, es ist schade, dass so selten Working Place-Dramen im deutschen Fernsehen erzählt werden, da ist noch Luft nach oben.

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